
No. 10 – das Betthupferl aus Folge #10
20. Januar 2025No. 11 - Das Betthupferl aus Folge #11
Von Christian Topel
Solle noch mal jemand behaupten, er, Sebastian Brettschneider, sei nicht das größte Organisationsgenie der Menschheitsgeschichte – pah!
Wie er die Kinder mit einer gerade noch so akzeptablen Verspätung abgeholt und ihnen eine gerade noch so glaubhafte Ausrede aufgetischt und es ihn eine gerade noch so bezahlbare Portion Eis gekostet hatte, sich deren Stillschweigen zu erkaufen – das würden ja wohl auch die bescheidensten Gemüter als brillant bezeichnen! Und wie er sich bei Karin mit einem in Windeseile gezauberten Curry und einer von roten Rosen flankierten, rhetorisch geradezu shakespearschen Entschuldigung aus der Schusslinie laviert hatte, das bewegte sich auf der Aalglatt-Skala mindestens auf Spitzenpolitikerniveau. Eigentlich also alles fein so weit, wäre nicht diese ständige, latente Habachtstellung; so ein dauerhaftes, subtiles Kammerflimmern seiner Nackenhaare aufgrund dieses neuerdings regelmäßigen überfallartigen Auftauchens seines neuen – nun ja, ihn als Freund zu bezeichnen wäre auf der Ein-Problem-Schönreden-Skala ebenfalls eine 10.
Als Trainingseinheiten bezeichnete Snørre jene Angewohnheit, Sebastian aus heiterem Himmel in hochnotpeinliche Situationen hineinzubugsieren.
„Ein Pfund Hackfleisch bitte, halb halb“, ruft er der Metzgereifachverkäuferin auf der anderen Seite des Tresens zu. Die greift fröhlich lächelnd zu einem Schäuflein, das sie schwungvoll in einen Berg geschredderter Muskelmasse tauchen lässt. Es ist Freitagnachmittag, bei Brettschneiders Zeit für die Einkäufe.
„Magst ein Raderl Gelbwurscht?“, fragt die Matrone. Sebastian blickt sich um. Kein Kind weit und breit, hinter ihm stützt sich lediglich eine Großmutter auf ihren Rollator. Die wird wohl nicht gemeint gewesen sein.
„Nein, danke, nur das Hack“, sagt Sebastian.
„Stimmt was nicht mit unserer Gelbwurscht?“, zischt die Metzgereifachverkäuferin und wedelt wild mit dem Wurstscheibchen. Die Schaufel richtet sie wie einen Revolver auf Sebastian.
Aber der riecht den Braten. Na klar, Snørre. Netter Versuch.
„Weißt was, du fettes Weibsstück, friss deine Gelbwurscht doch selber, schaust eh aus, als würdest hier den ganzen Tag naschen“, sagt Sebastian und grinst und zwinkert.
Der Verkäuferin fallen sowohl Wurst als auch Kinnlade herunter. Die Oma hinter Sebastian kichert leise. Sebastian schwant Böses.
„Bodyshaming“, kreischt die Metzgereifachverkäuferin. „Kauft kiloweise Hackfleisch und nennt mich fett, dieses Krischperl!“
„Gibt es hier ein Problem?“, fragt der herbeigeeilte Filialleiter, die Hände in die Hüften gestemmt. Bereit, seiner Angestellten zu Seite zu stehen, komme, was wolle.
„Der Herr hat mich beleidigt“, erklärt die sichtlich betroffene Metzgereifachverkäuferin. „Ich hab ihn nur von unserem Angebot der Woche kosten lassen wollen.“ Sie hebt die Gelbwurst in die Höhe, Beweisstück A.
„Ja, ich habs auch gehört“, ergänzt die Großmutter und streckt Sebastian die Zunge heraus.
„Alles nur ein Missverständnis, wirklich“, beteuert Sebastian.
„Fett hat er mich genannt“, sagt die Metzgereifachverkäuferin.
„Und Weibsstück!“, ergänzt das Muttchen, dem Sebastian am liebsten an die Gurgel ginge, wenn es die Spielregeln nicht verböten.
„Ob die Gelbwurst recht fettig ist, wollte ich doch nur wissen. Und obs von einer Sau stammt oder von einem Eber“, erklärt Sebastian und streckt die Hand aus. Wie ein Schmuckstück bettet die Metzgereifachverkäuferin die Wurstscheibe auf seine Finger. Pflichtschuldig steckt er sich die Wurst in den Mund, kaut und versucht, dabei möglichst genießend auszusehen.
„Und?“, fragen Filialleiter, Metzgereifachverkäuferin und Oma im Chor.
„Saugut!“, sagt Sebastian und streichelt sich den Bauch. „Ich nehm zwei Stück!“
„Aber gerne“, flötet die Metzgereifachverkäuferin.
"Braver Junge“, sagt die Oma.
Komm du mir nach Hause, denkt Sebastian. Er muss noch viel, viel üben...