
No. 18 – das Betthupferl aus Folge #18
13. Mai 2025No. 19 - Das Betthupferl aus Folge #19
Von Christian Topel
Karin war früh aufgewacht.
Sie hatte schlecht geschlafen – kein Wunder, nachdem sich Sebastian aufgemacht hatte, um irgendwo zwischen Felsen und Funklöchern zu kampieren, ausgerüstet wie Reinhold Messner bei der Besteigung des Nanga Parbat und offensichtlich vorangetrieben von einer sich immer beängstigender bahnbrechenden Midlife-Crisis.
Kopfschüttelnd war Karin in die Küche gestapft. Sebastian! Auf einem Berg! Allein. Freiwillig! Was würde ihm als nächstes einfallen, um dem unweigerlich voranschreitenden Alterungsprozess ein vermeintliches Schnippchen zu schlagen? Ein Porsche? Ein Motorrad? Gefärbte Haare? Eine Affäre?
Während sie sinnierend in ihrem Espresso herumrührte, lauschte sie mit halbem Ohr den Fragen der Kinder.
„Mamaaa, meinst du, Papa würde einen Bären im Armdrücken besiegen?”, frug Felix mit vollem Mund.
„Oder einen Yeti?“, rief Klara.
„Oder einen Werwolf!“, knurrte Felix triumphierend.
„Ich bin schon zufrieden, wenn er das Zelt halbwegs stabil zum Stehen gebracht hat”, murmelte Karin und bemühte sich, statt Grübelfalte ein zuversichtliches Lächeln zur Schau zu tragen.
Dingdong.
Überrascht blickte Karin auf. Sie hatte niemanden erwartet.
Vor der Haustür stand ein älterer Herr, zwar akkurat gekleidet, aber auch seltsam spießig, in seinem grauen Anzug, dem grauen Trenchcoat, mit Hut auf dem Kopf und Aktenkoffer in der Hand. Für einen Zeugen Jehova zu allein, für einen Versicherungsvertreter zu alt, befand Karin.
„Frau Brettschneider?“
„Ja?“
„Ich komme wegen der Recherchen, die Ihr Mann beauftragt hat”, knarzte der Herr. “Ist er zu sprechen?”
„So so“, sagte Karin, und öffnete die Tür ein kleines Stück weiter. „Was denn für Recherchen?“
„Vertraulicher Natur“, sagte der Herr und lugte an Karin vorbei ins Haus.
„Aha“, erwiderte diese trocken.
Sie musterte den Besucher. Die Augen klein und stechend. Die Haut pockennarbig.
“Es ist wirklich wichtig”, sagte er.
Karin zögerte kurz, dann siegte die Neugier. Sie platzierte ihn im Wohnzimmer auf dem Sofa und bot ihm einen Kaffee an. Er lehnte höflich ab, den Aktenkoffer umarmend und den Raum genauestens unter die Lupe nehmend.
„Wissen Sie, wo sich Ihr Mann gerade aufhält?“, fragte er.
Karin hob eine Augenbraue.
„Wandern“, sagte sie, “in den Bergen.”
„Oh“, sagte der Herr, und schaffte es nicht schnell genug, das Entsetzen aus seiner Miene zu verscheuchen.
Das reichte Karin. Sie entschuldigte sich kurz, um sich in der Küche mit Klara und Felix zu besprechen. Wirklich gefährlich wirkte der Kerl zwar nicht, aber sie wollte ihn loswerden. Und ihm eine kleine Lektion mit auf den Weg geben.
“Onkel”, flötete Klara, während sie dem Herrn auf den Schoß kletterte, “magst du Feen?”
Die graue Eminenz konnte gar nicht so schnell schlucken, wie Klara seinen Aktenkoffer mit ein paar glitzernden Aufklebern verschönerte.
“Frau Brettschnei–”, setze der ungebetene Gast an, um nach Karin zu rufen. Doch Felix stopfte ihm schnell eine Portion Lakritzschnecken in den offenen Mund.
“Psssst, nicht verraten”, flüsterte Felix, “so früh dürfen wir noch nicht naschen!”
Völlig perplex kaute der Mann auf der schwarzen, klebrigen Masse in seinem Mund herum, während ihm Klara den Hut vom Kopf stibitzte und durch ein silberfarbenes Diadem ersetzte.
“Was zur Hölle”, spotzte der frisch Gekrönte, konnte den Satz aber nicht beenden.
Felix gab ihm mittels erhobenem Zeigefinger vor den Lippen unmissverständlich zu verstehen, dass er gefälligst schweigen solle.
“Sei still, sonst schreit Klara ganz laut Hilfe!”, drohte der Bub
Seelenruhig klappte Klara nun Karins Kulturtasche auf. Sie entnahm einen knallroten Lippenstift, drehte den Deckel ab und bemalte ebenso ungelenk wie weiträumig die Lippen des wie gelähmt auf dem Sofa sitzenden Herrn.
„Du bist unsere Feenprinzessin!”, kreischte Klara beglückt und klatschte in die Hände. Sie kletterte von ihrem Opfer, um das pinke Tutu in Empfang zu nehmen, das ihr Felix grinsend hinhielt.
Der Herr sprang mit einem entsetzten Quieken auf.
„Ich glaube... ich sollte jetzt wirklich... ich muss“, stammelte er und schlich Zentimeter um Zentimeter Richtung Tür.
“Warte”, rief Klara, “du brauchst doch noch Feenbäckchen.” Sie rührte mit einem Pinselchen im Rouge-Tiegel. Felix hingegen lud seine Wasserpistole, eine monströse Super Soaker, die er mit Jason-Statham-Blick unter Druck pumpte.
Der Herr stürmte einfach los. Er verhedderte sich kurz mit den Füßen in einem vor dem Sofa liegenden Feenschleier, stolperte, riss sich im Liegen die Kostümierung vom Körper und kabbelte dann überraschend behände aus dem Haus.
Zurück blieben: ein Wohnzimmer, so verwüstet wie nach einem Coca-Cola geschwängerten Kindergeburtstag; drei herzlich lachende Brettschneider – und: ein in Panik zurückgelassener Aktenkoffer.