
No. 4 – das Betthupferl aus Folge #4
28. Oktober 2024
No. 6 – das Betthupferl aus Folge #6
25. November 2024No. 5 - Das Betthupferl aus Folge #5
Von Christian Topel
Keuchend nähert sich Sebastian dem Straßenrand am Ende des Parks, die Augen stur geradeaus Richtung Kirchturm gerichtet.
Der steinerne Koloss ragt aus der gegenüberliegenden Häuserschlucht hervor wie eine verheißungsvolle Trutzburg gegen den Wahnsinn, der ihn verfolgt. Statt nach links und rechts, wie er es seinen Kindern immer einbläut, blickt er blöderweise nach hinten – wo sich schon das vermaledeite Eichhörnchen in einem teuflischen Zickzack nähert.
„Jetzt oder nie!“, denkt Sebastian und sprintet los. Links von ihm heult eine Hupe auf, Reifen quietschen, ein Lastwagen schlittert auf ihn zu und kommt nur wenige Zentimeter vor einem Zusammenstoß zum Stehen. Der Fahrer drischt wutentbrannt auf sein Lenkrad ein, zeigt Sebastian den Vogel und macht sogar Anstalten auszusteigen – wahrscheinlich um statt des Lenkrads Sebastians Gesicht mit den kräftigen Fernfahrer-Fäusten zu malträtieren. Doch Sebastian hütet sich, auch nur eine Sekunde stehen zu bleiben und stürzt weiter in Richtung Kirche. Hinter sich hört er es erneut hupen, quietschen und schließlich sogar scheppern. Egal! Mit einer Mischung aus Triumph und Erschöpfung in den Gliedern hält Sebastian erst am Fuße der Kirchentreppe an, stützt die Hände auf die Knie und schnappt hechelnd nach Luft. Endlich wagt er es, sich umzudrehen.
Der überquerte Straßenabschnitt gleich einem Kriegsschauplatz. Ein uralter Golf ist in den nahen Laternenpfahl gerutscht, die Fahrzeugfront schmiegt sich ungesund um den Mast, aus der Motorhaube steigt Rauch. Im Innenraum sitzt eine alte Dame, die Sebastian fast mitleidig ansieht und dabei den Kopf schüttelt. Unter dem von Glassplittern umringten Lkw klemmt ein Mercedes, aus dem eine ganze Familie klettert. Während die Kinder auf Sebastian zeigen und ihre Mutter fragen, ob man für sowas ins Gefängnis kommt, bauen sich der Vater und der Lkw-Fahrer wie zwei tollwütige Silberrücken voreinander auf. Die Brüste schwellen, die Fäuste ballen sich. Es gilt, die Schuldfrage zu klären – und so etwas erledigen Silberrücken bekanntlich nonverbal.
Sebastian ficht das Schauspiel nicht an. Er ringt mit der Entscheidung, ob es ein Schlaganfall oder ein Schock ist, der ihn lähmt. Denn drüben, auf der anderen Straßenseite, kann er durch die Rauchschwaden und die Blechlawine hindurch das Eichhörnchen erspähen, das ihn schadenfreudig anzugrinsen scheint, ehe es sich tiefenentspannt auf den Weg macht. Wie eine frischgebackene Königin, die am Krönungstag durch eine Phalanx jubelnder Untertanen schreitet, trippelt das kleine Fellmonster mitten durch das Chaos und lässt es sich nicht nehmen, mit dem linken Pfötchen würdevoll nach allen Seiten zu winken.
"Das kann doch nicht wahr sein!“, jammert Sebastian. Er atmet tief durch, sammelt seine letzten Kräfte und fliegt förmlich die Kirchenstufen hinauf. In einem verzweifelten Kraftakt stemmt er sich gegen die schwere Eichenholzpforte, die nur widerwillig nachgibt. Doch das Adrenalin verleiht Sebastian noch einmal Energie. Er rammt die Türe auf, stolpert ins Kirchenschiff und lässt die massiven Türflügel krachend hinter sich ins Schloss fallen.
„Endlich, gerettet“, seufzt er.
*
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, an einer Hochzeit teilzunehmen. Als Braut oder Bräutigam; als Pfarrer, der die beiden Liebenden aneinanderbindet, bis dass der Tod (heutzutage meist in Person eines Richters) sie wieder scheidet; als geladene Gäste, die vor Glück (bzw. Neid) schniefend in der Kirchenbank sitzen – oder man macht es wie Sebastian Brettschneider, den die eben genannten aus circa 100 Augenpaaren heraus entsetzt anstarren.
Vielleicht, wird ihm schmerzlich bewusst, hätte er sich doch lieber diesem nervtötenden Nagetier stellen sollen...